Eigentlich ging Pedro Isliker mit 16 Jahren nur in die Schweiz, um eine Lehre als Elektromechaniker zu machen und anschließend in Chile in den Betrieb seines Großvaters einzusteigen. Das Land seiner Vorfahren gefiel ihm jedoch so gut, dass er etwas länger wegblieb. Er kehrte erst mit über 60 zurück. Als Sales Manager Latin America der Swan Analytische Instrumente AG bereist er jetzt von Santiago aus die gesamte Region.
Von Petra Wilken
In der Automaten-Dreherei Isliker & Cia Ltda. an der Straße Vicuña Mackenna 1955 in Santiago wartete sein Vater Peter vergeblich auf seine Rückkehr. Dessen Vater, Gottfried Isliker, hatte 1946 die Firma gegründet. 1925 war er aus der Schweiz nach Chile ausgewandert. «Krisenzeiten in Europa», erklärt der Enkel die Motive. «Mein Großvater war Ingenieur. Er hatte jemanden kennengelernt, der Ländereien in Chile hatte und Holzverarbeitungsmaschinen in der Schweiz suchte. So schiffte er sich mit seiner Frau und meinem Vater, der fünf Jahre alt war, und seiner zweijährigen Schwester nach Chile ein», erzählt Pedro Isliker. Die Reise wurde zur Odyssee, denn als sie in Valparaíso ankamen, war der Geschäftspartner verstorben und die Isliker in einem Land angekommen, das sie nicht kannten, ohne Sprachkenntnisse und wenig Geld.
«Das waren andere Zeiten. Heute setzt man sich ins Flugzeug und fliegt zurück, wenn es einem nicht gefällt», meint der Enkel. «Aber damals musste man da durch.» So seien seine Großeltern viel südlich von Santiago herumgekommen. Dabei habe sich sein Großvater umgeschaut und registriert, was es in Chile gab und was fehlte. Das, was fehlte, habe er dann so lange an selbstgebastelten Maschinen getüftelt, bis sie funktionierten. «Mein Großvater war ein Erfindertyp», sagt Pedro Isliker. «Er hat das Leben in Chile gemeistert.»
Für die Dreherei Isliker & Cia Ltda. fuhr er Maschinen aus Deutschland und der Schweiz ein. «Sie stellten alles her, was rund ist – Fahrradventile, Schrauben, Achsen und so weiter.» Bis heute existiert die Dreherei an der Vicuña Mackenna und ist als Familienbetrieb bestehen geblieben, wurde jedoch 1989 vollständig von den Brüdern Brogle übernommen, die weiterhin alle Arten von Teilen aus Messing, Bronze, Stahl, oder Aluminium für Heizungen, Gasbrenner oder Fahrräder herstellen.
Peter Isliker, Sohn von Gottfried, beschloss den Verkauf der Fabrik, da der Sohn – wie gesagt – nicht aus dem Heimatland des Großvaters und der Mutter zurückgekehrt war. Linette Isliker war 1946 nach Chile gekommen. Sie war die erste Lehrerin, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Schweiz ins Ausland entsandt wurde. Nach Ablauf ihres Dreijahresvertrages an der Schweizer Schule Santiago heiratete sie, und 1950 wurde Pedro als erster Sohn geboren. Es folgten eine Schwester und ein Bruder.
Pedro Isliker war Schüler der Schweizer Schule, woran er sich mit großer Dankbarkeit erinnert. Denn als er mit 16 in die Schweiz ging, um in Baden eine vierjährige Lehre als Elektromechaniker anzutreten, habe er keinerlei Schwierigkeiten gehabt, in Mathematik oder den anderen Fächern mitzuhalten. Im Gegenteil, er habe sogar bessere Kenntnisse aus Chile mitgebracht. So schloss er nach der Lehre gleich noch ein Studium als Elektroingenieur an. «Das Studium musste ich zum großen Teil selbst finanzieren. Es war die Allende-Zeit, und mein Vater konnte nicht viel Geld schicken», erzählt er. Bei der Arbeit lernte er seine erste Frau kennen, eine Schweizerin.
«Es hat mir gefallen in der Schweiz. Ich fand es einen großen Vorteil – ich konnte mich sowohl in Chile als auch in der Schweiz gut zurechtfinden. So bin ich ‚Mentalitäten-Übersetzer‘ geworden», definiert er seine Erfahrung. «Ich konnte den Schweizer vermitteln, wann sie flexibler auf die Chilenen reagieren und Kompromisse schließen müssen.» Diese Soft-Skills wurden in den kommenden Jahren weiter trainiert. Doch nicht in Chile, denn seine Frau wollte nicht auswandern, dafür stimmte sie arbeitsbedingten Auslandseinsätzen zu – unter der Bedingung, dass sie maximal fünf Jahre dauerten.
Pedro Isliker arbeitete 13 Jahre lang für ABB, den großen Energie- und Automatisierungstechnikkonzern mit Hauptsitz in Zürich. Für ABB ging er von 1988 bis 1990 nach Buenos Aires und von 1990 bis 1993 nach Guatemala City. In Guatemala waren sein ältester Sohn zehn, seine Tochter fünf und der in Buenos Aires geborene jüngste Sohn noch ein Baby. Fanden sie Guatemala zu dieser Zeit auch gefährlich? «Guatemala ist immer gefährlich», antwortet er trocken. Er räumt ein, dass sich die Familie schon unsicher gefühlt habe. Entführungen von Ausländern und gerade auch von Kindern kamen immer wieder vor.
Als sie in die Schweiz zurückkehrten, trennten er und seine Frau sich. Pedro Isliker lernte dann seine jetzige Frau kennen – eine Deutsch-Chilenin, die seit 25 Jahren in der Schweiz lebte, jedoch in Osorno geboren worden war. 2004 wechselte er zu der Firma Swan Analytische Instrumente AG im Kanton Zürich. Das Unternehmen stellt Analysegeräte zur Messung der Wasserqualität her, die überall dort gebraucht werden, wo Wasser behandelt wird – vom Schwimmbad bis zum thermischen Kraftwerk. «Wir waren relativ stark in Europa, Asien und im Nahen Osten, aber in Lateinamerika gab es praktisch nichts-» Deshalb wurde er für den Aufbau des regionalen Marktes eingesetzt. Seine Sprachkenntnisse und seine Fähigkeit als «Mentalitäten-Übersetzer» kamen ihm hierbei zugute.
So kam er 2011 nach 45 Jahren nach Chile zurück. «Ich habe mich gleich wieder heimisch gefühlt», sagt er. Zum Thema Kulturschock meint er nur gelassen: «Wenn man sich in der Schweiz beklagt, dass es keinen Pisco Sour gibt und in Chile, dass es keine Rösti gibt, dann ist das falsch.» Er schätzt an Chile, dass es hier weniger Routine gibt als in der Schweiz, es hier unberechenbarer ist. In der Schweiz sei alles vorbestimmt, fast zu perfekt. «Ich improvisiere gerne. Unvorhergesehene Situationen liegen mir», betont er.
Für Swan ist er für ganz Südamerika zuständig – Bolivien und Venezuela ausgenommen. Sehr häufig reist er nach Argentinien, Kolumbien, Ecuador, Brasilien und Peru. Er schätzt seine berufliche Aufgabe sehr. «Es sind sinnvolle, wichtige Produkte», betont er. Als Beispiele für Messungen der Wasserqualität zählt er Chlor, Kieselsäure, Sauerstoff, Natrium, PH-Wert und Leitfähigkeit auf. Neben dem Kraftwerkbereich ist Swan auch an den Messungen bei der Entsalzung von Meerwasser zur Umwandlung in Trinkwasser beteiligt – eine Branche, die sich im Wachsen befindet. «Wasserbehandlung ohne Messung ist ein Blindflug», bringt er es auf den Punkt. 80 Prozent seiner Reisen seien geplant. Bei den anderen 20 Prozent muss er los, weil es ein Problem gibt – zum Beispiel, wenn ein Kraftwerk stillzustehen droht.
Neben seinen beruflichen Herausforderungen schätzt Pedro Isliker, dass er auch privat viel in Chile reisen kann. Nach wie vor hält er den Kontakt zur Schweizer Schule, ist Mitglied in der Schweizer Handelskammer, engagiert sich auch gerne sozial, treibt Sport – ein bisschen von allem: Fahrrad, Ski und Wandern. Was er jedoch am meisten zu schätzen scheint, ist, dass er sich seine Zeit und seine Tätigkeiten relativ frei einteilen kann – und letztendlich das tut, was ihm Spaß macht. Damit fühlt er sich in Chile so wohl, dass er hier nicht mehr weg möchte. Er fügt jedoch hinzu: «Man soll niemals nie sagen.»